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Zigaretten US-Behörde will Nikotingehalt von Tabak drastisch senken

In den USA sollen Zigaretten künftig bis zu 80 Prozent weniger Nikotin enthalten und so weniger süchtig machen. Krebsforscher sprechen von einem revolutionären Schritt - geben aber zugleich eine Warnung aus.

Sieben Millionen Menschen sterben laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich an den Folgen des Rauchens. Wegen der Gesundheitsrisiken will die US-Arzneimittelbehörde FDA die Zahl der Raucher in den nächsten Jahren deutlich senken - mithilfe von Zigaretten, die nicht süchtig machen. Dafür soll der erlaubte Nikotingehalt drastisch reduziert werden. Die Pläne wurden bereits im vergangenen Sommer angekündigt, nun veröffentlichte die FDA konkrete Richtwerte.

Die US-Behörde verweist auf mehrere Studien , die zeigen, dass Menschen weniger rauchen und eher versuchen aufzuhören, wenn sie zu Zigaretten wechseln, die sehr wenig Nikotin enthalten. Demnach könnte eine Reduzierung des Nikotingehalts um 80 Prozent dafür sorgen, dass fünf Millionen Menschen in den USA innerhalb eines Jahres das Rauchen aufgeben.

Außerdem erwartet die FDA, dass durch den Schritt in gut vierzig Jahren nur noch etwas mehr als ein Prozent der US-Amerikaner rauchen, derzeit sind es noch etwa 15 Prozent. "Den Nikotingehalt zu begrenzen, könnte in künftigen Generationen Kinder vor der tödlichen Entwicklung bewahren, dass aus dem Experimentieren mit Zigaretten eine Sucht wird", sagt Mitch Zeller von der FDA.

Derzeit gibt es in den USA keine Obergrenze für Nikotin, das von Natur aus in Tabakpflanzen vorkommt und dafür sorgt, dass Rauchen süchtig macht. Die Pläne der FDA gehören zu den umfassendsten Anti-Rauch-Bemühungen, seit der Kongress 1965 gefordert hatte, Gesundheitsrisiken auf den Verpackungen kenntlich zu machen. Zudem wurden Tabakkonzerne Ende 2017 verpflichtet, ein Jahr lang Werbung zu finanzieren, die über die Risiken des Rauchens aufklären soll.

Ob der aktuelle Vorstoß der FDA umgesetzt wird, bleibt dennoch abzuwarten. Seit 2009 hat die Behörde das Recht, die Bestandteile von Tabakprodukten zu kontrollieren. Viel passiert ist seitdem nicht. Neue Vorgaben wurden durch die Tabakindustrie bisher weitgehend durch Gerichtsprozesse verhindert. Für die aktuelle Regelung braucht die FDA zudem die Unterstützung des Kongresses. Aus dem Weißen Haus hieß es aber, man unterstütze das Vorhaben.

Zigarettenhersteller geloben zwar, sich an der Diskussion um Nikotin zu beteiligen, betonen aber immer wieder, wie langwierig ein solcher Prozess sei. Altria, der Mutterkonzern des Marlboro-Herstellers Philip Morris USA, teilte mit: "Altria bereitet sich auf jeden vernünftigen potenziellen Standard vor, und wir wollen uns an jedem Schritt in dem Prozess beteiligen." Experten rechnen jedoch damit, dass es vier bis fünf Jahre dauern könnte, bis die neuen Regeln umgesetzt sind.

Nikotinarme Zigaretten: Eine noch größere Gesundheitsgefahr?

In Deutschland regelt das Tabakerzeugnisgesetz die Inhaltsstoffe von Zigaretten. Eine drastische Reduzierung des Nikotingehalts wäre auch hierzulande theoretisch möglich. Krebsforscher warnen jedoch, dass ein niedriger Nikotingehalt das Rauchen sogar noch gefährlicher machen könnte.

Denn: Nikotin ist zwar der Stoff in Zigaretten, der abhängig macht. Viel schädlicher für die Gesundheit als das Nikotin sind jedoch Bestandteile des Qualms, den Raucher einatmen. Greifen Raucher nun wegen des niedrigeren Nikotingehalts häufiger zur Zigarette, steigt ihr Gesundheitsrisiko. Auch deshalb sind Begriffe wie "mild", "leicht" oder "light" in der Tabakwerbung mittlerweile verboten. Sie könnten den Eindruck erwecken, dass diese Zigarettensorten weniger schädlich sind als andere.

Es sei ein fataler Irrtum zu glauben, leichte Zigaretten seien weniger schädlich, warnt auch das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ)  auf seiner Homepage. Durch das tiefere Inhalieren und das häufigere Ziehen an solchen Zigaretten nehmen Raucher laut DKFZ unbemerkt zum Teil sogar größere Mengen an Nikotin und Teer auf als beim Rauchen herkömmlicher Produkte. Ein niedrigerer Nikotingehalt in Zigaretten könnte Rauchern deshalb mehr schaden als nützen. Das DKFZ wirft der Tabakindustrie sogar vor , Produkte gezielt manipuliert zu haben, um die Wahrscheinlichkeit einer Tabakabhängigkeit zu erhöhen.

"Ein revolutionärer Schritt"

Trotz aller Risiken halten deutsche Krebsforscher die Pläne aus den USA für eine gute Idee. Allerdings nur, wenn die FDA den Nikotingehalt in einem Schritt unter die Schwelle von 2,4 Milligramm Nikotin pro Gramm Tabak drückt.

"Eine Simulationsstudie  kam zum Ergebnis, dass dies auf Bevölkerungsebene zu einer deutlichen Verminderung des Tabakkonsums und der damit verbundenen gesundheitlichen Folgen führen würde", sagt Ute Mons vom DKFZ zum SPIEGEL. Bei einem schrittweisen Vorgehen oder höheren Grenzwerten bestehe hingegen die Gefahr, dass Raucher letztlich mehr Zigaretten rauchten oder tiefer inhalierten.

"Es wird sich zeigen, ob die Studienergebnisse auf die Realität übertragbar sein werden, oder ob die Tabakindustrie doch wieder Wege finden wird, um entsprechende Regelungen zu verhindern oder zu umgehen", sagt Mons. Der Schritt der FDA sei in jedem Fall revolutionär und könnte tatsächlich ein Durchbruch für die Tabakprävention in den USA sein.

mit Material von AP